Froschkönigin
“Ich verstehe nicht, warum du deinen Dickkopf nicht einfach ins Wasser steckst, wo du so versessen darauf bist, dass du alles machen könntest, was du willst.”
“Weil ich es nicht will.”
“Und woher weißt du das? Vielleicht wurde dir nur beigebracht, dass es so super angenehm ist, weiterhin Sauerstoff zu atmen und eigentlich bist du ein Wassertier. Dir wachsen Kiemen wenn du eintauchst in den See. Und schleimige Adern wachsen dir und pulsieren, wie deine Fischglubschaugen.”
“Sei nicht so gemein, das steht dir nicht.”
Ich schloss meine Augen um die Luft in meinen Körper fließen zu spüren, den sie in einem Stoß entfaltet. Ich konnte nicht verstehen, wie ich so wütend war, denn zugleich war mir nach Lachen zumutue, so unsinnig, wie dieses ganze Gespräch war.
Mia stand auf und ging zum Wasser hinüber. Das Ufer war mit etwas Schilf bewachsen, das an einigen Stellen über den Sommer vermodert war und jetzt faulig roch. Es gab ein kleines matschendes Geräusch, wenn sie sich mit ihren baren Füßen hindurchschlung. Sie drehte sie um und hatte diesen herausfordernden Blick in ihren Augen.
“Wenn ich jetzt meinen Kopf unter Wasser halte und ersticke, dann ist es deine Schuld. Du hast es mir eingeredet.”
“Wenn du so blöd bist, dich selbst zu ertränken ist es nicht meine Schuld. Vielleicht die deiner Eltern, dafür dass sie dich nicht klüger erzogen haben.”
Sie steckte sich ihre Haare in einen Zopf und grinste schief aus einem kleinen mattroten Mundwinkel, von dem ich weiß dass er sich weich wie Glück anfühlt, wenn ich ihn küsse.
“Du machst es sowieso nicht. Du willst nur wieder gucken, wie weit du mich provozieren kannst.”
“Eigentlich hast du schon Recht. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, unter Wasser zu stecken und keine Luft mehr zu bekommen. Vielleicht ist es ja ganz interessant?”
“Vielleicht ist es auch ganz interessant, sich einfach mal zur Abwechslung wie ein normal denkender Mensch zu verhalten und nicht zu versuchen, jeden Tag einen Nervenkitzel zu erleben.”
Sie rollte ihre Augen. Dabei konnte ich es wirklich nicht verstehen: Warum können sich nur manche Menschen nicht damit zufriedengeben, glücklich zu sein. Es ist ja gar nicht mal so schwer. Solange man genug zu Essen, ein Dach über dem Kopf und einen besten Freund hat, bleibt als einzige Herausforderung, sich selbst davon zu überzeugen, dass es keinen Sinn macht, sich mit dem Typen zu vergleichen, der ein kleines bisschen mehr hat, ihm dann nachzueifern und sich dabei dran zu gewöhnen, immer etwas mehr zu wollen.
“Ich werde jetzt meinen Kopf unter Wasser halten. Du kannst ja da drüben so cool in deiner Cowboypose auf dem Stein sitzen bleiben, oder du rettest mich halt. Deiner Ansicht nach ist das ja wahrscheinlich sowieso ein Instinkt und du könntest gar nicht anders. Aber ich sag dir, wie es wirklich ist: Du brauchst mich, wärst todunglücklich, wenn ich sterbe und würdest es nie ertragen, mich ersticken zu sehen.”
Und dann ging sie auf die Knie, das Wasser spritzte etwas auf ihre weiße Bluse und stieg langsam ihre Jeans hinauf, da wo der blaue Stoff ins Wasser bricht. Sie holte tief Luft und ließ ihren Kopf in das Wasser hinab. Erst hätte sie fast das Gleichgewicht verloren, die Steine im See sind glatt, aber dann blieb sie einfach so sitzen. Und es war mit einem Mal urstill um mich herum.
Das Problem an all dem war, dass sie nicht nur so stur und töricht war, sondern auch so viele Gespräche hinter uns waren, in denen wir uns auf völlig verkopfte Weise immer weiter gegenseitig in den Gedanken hineingesteigert hatten, dass unser Leben nur ausgemalt sei. Alles eine Illusion, die in unserem Kopf entsteht. Wir wissen ja nicht einmal, ob es den jeweils anderen überhaupt gibt — nur unsere eigenen Sinne haben uns je darüber wissen lassen und die können sich so einiges ausmalen. Das sieht man ja, sobald man anfängt zu versuchen, sich an seine Träume zu erinnern.
Zuerst waren noch einige Bläschen an ihrem kleinen Hals aufgestiegen und hatten sich auf die Wasseroberfläche gesetzt, wie junge Frösche, die den Fliegen erst noch zuschauen, bevor sie sie aufschnappen und in ihren weichen Mündern zermahlen. Aber auch sie sind zerplatzt, wie Träume, wenn man die Augen aufschlägt. Jetzt lag der See still da, ihr Hinterkopf mit dem feinen blonden Haar war grotesk verschmolzen mit dieser unwirklichen Spiegelung darunter, nur wenig blasser, weniger klar.
Wenn wirklich alles ausgemalt ist, und gar nichts wahr, dann würde es auch keinen Unterschied machen, ob ich aufspringe und sie aus dem Wasser ziehe, oder auf meinem Stein sitzen bleibe, der Sonne zuschaue, wie sie sich langsam vornüber beugt, bis ihre Spitzen die Wipfel kitzeln und sich schließlich dahintersenken und im dunklen Wald verschwinden. Die Nacht würde kommen und ihr kleiner Körper gekrümmt im Wasser schwimmen. Die Mücken würden sich an ihrer zarten Haut laben und vielleicht würde schließlich ein Frosch dort sitzen, auf ihrem Hals, und auch seinen Hunger stillen.
Nur allein bin ich dann so und so. Es macht gar keinen Unterschied, ob Mia Phantasie ist, oder wahr. Ob sie wie aus einem Traum erscheint, oder gar nichts anderes ist. Die Welt wird klein, ganz klein, wenn man sich vor Augen führt man wär allein. Ein Gedanke wie ein Muskelkrampf, den man sich wegwünscht und sich dann verspricht, nie wieder so sich zu bewegen. Mein Hals schnürt zu, ich kämpfe dagegen, kann mich kaum halten, will sie an den Schultern aus dem Wasser reißen. Ich schließe meine Augen und atme endlich tief ein…