Carlita
Am Rand des kargen Weges lagen gelegentlich Coca-Cola Dosen. Sie waren nicht einmal verrostet, so trocken war diese Gegend. Nach einigen Kilometern gelangten wir in ein Dorf, von dem uns ein anderer Reisender erzählt hatte. Man konnte spüren, was es für ein Ort war. An der Art, wie die Menschen einen betrachteten, wenn man den langen Weg entlang der einzigen Straße auf sich nahm. Eine alte Frau in schwarzen Kleidern und einem schwarzen Hut mit einer darum gewickelten, bunten Federboa stand am Straßenrand und winkte. In ihren Augen ein Sinn von luftloser Ferne. Ihr stand ein leerer Blick, verlassen von Sinn für Fantasie.
Am Ende der Straße gelangten wir zum Haus einer entfernt verwandten Familie. Ich hatte noch nie auch nur ein Mitglied der Leprados aus diesem Zweig kennen gelernt, und heute sollte es so fatale Folgen haben. Die Eltern boten ein reichliches Mahl an als ich ihren Ort betreten hatte. Die Gerichte waren nach regionaler Art zubereitet, aber doch in ihrem Geschmack auch einem weiteren Publikum zukömmlich. Besonders die Kartoffelchen, eingelegt in einer Marinade aus Honig und Ingwer waren mir ans Herz gewachsen. Am Tisch entdeckte ich das Gesicht der Federboa Frau wieder, es war mir wir in die Retina gebrannt. Sie sprach über die Nachteile des Verbots von Atomreaktoren, das die Übergangsregierung beschlossen hatte. Es interessierte mich nicht. In Gedanken war ich schon längst in Ecuador.
Ich stand von meinem Platz auf und ging auf die andere Seite des Tisches zu meiner Cousine Lucia hinüber. Ihr Onkel versuchte gerade, sie zu einem Trinkspiel zu provozieren. Ich reagierte schnell und bot mich als fairen Gegner an, wir sollten um ihre Gunst spielen. Die Karten waren schnell verteilt: Ich hatte eine Zwei, einen Turm und einen Pik König. Ich wusste, dass ich aus diesem Kommando mit geschicktem Spiel einen ordentlichen Profit herausschlagen konnte. Trotzdem ließ ich es langsam angehen und ging zunächst in aufrechter Haltung auf meinen Gegner zu. Ich hielt ihm meine Zwei vor die Stirn. Er lachte natürlich und ließ sich seine Nervosität nicht anmerken. Aber davon konnte ich mich nicht beirren lassen. Ich parierte schnell mit meinem Pik König, welcher ihn völlig aus dem Konzept brachte. Mit einem Sprung zurück ging er in die Hocke, wo ich seinen Hals scharf mit meinem Turm erwischte. Seine Kehle war schnell verschnitten und ein starker Schwall Blut lief über meinen Teppichboden.
Ein Raunen ging durch den Raum, als man sich fragte, wie nun zu reagieren war. Die Regeln waren aber abgekartet. Schnell hatte der Vater einen Strick geholt und führte einen Zaubertrick auf um die Menge abzulenken, während die Mutter mit dem schweren Mann über dem Rücken aus der Hintertür verschwandt. Ich zündete mir eine Zigarette an. Vor mir entfaltete sich ein Szenario, das ich kaum zu ertragen vermochte. Mit einer geschmeidigen Bewegung griff ich mir hinters Jackett und schob meinen Stuhl ein reichliches Stück zurück. Den vorwurfsvollen Blick einer älteren Familienangehörigen misachtend verließ ich den Raum. Meine braunen Lederschuhe warteten schon an der Haustür und diese ließ ich mit erhobenem Kinn hinter mir.
Mein Wanderhund Carlita hatte es sich gepflegt bequem gemacht auf dem weiten Staubweg, der die spärlich verteilten Dörfer miteinander verbandt. Seine felligen Pfoten tapsten griffig in dem feinen Sand, aber auch auf eher kieseligen oder gar steinigen Strecken hatte er stets guten Halt. Mit einem aufgeweckten Augenaufschlag sah er zu mir hoch, als könnte er mit mir sprechen. Doch in diesem Rudel war er ein tauber Hund. Ich hatte ihn stets bei mir, da er sich hervorragend mit der örtlichen Fauna auskannte. Zum Abendessen war es unser übliches Ritual, zuerst ein Lager aufzuschlafen, woraufhin ich anfing, Feuerholz zu sammeln, während er uns einige kleine Tiere jagte. An den meisten Tagen teilten wir uns ein Zelt, es verursachte so weniger Aufwand. Heute bestand er allerdings darauf, in seiner eigenen Hütte zu schlafen.
to be continued